von Stadtrat Dr. Rolf Schlierer, 20.10.2011
Anrede,
Der Weg in die Verschuldung kann auch für unsere Stadt auf Dauer keine Perspektive sein. Das lehrt die europäische Staatsschuldenkrise, die von einem Höhepunkt zum nächsten eilt. Mit aktuell weniger als 100 Millionen Euro Schulden steht Stuttgart auf den ersten Blick scheinbar gut da – vor zehn Jahren war der Schuldenstand mehr als fünfmal, vor zwanzig Jahren sogar zehnmal höher. Doch so erfreulich das Ergebnis der ablaufenden Haushaltsperiode ist: Der Spielraum für neue Maßnahmen ist angesichts der mageren Überschüsse im von der Verwaltung vorgelegten Entwurf des Ergebnishaushalts von zusammen nicht einmal 20 Millionen Euro für die kommende Haushaltsperiode bedenklich gering. Und genau genommen, waren es nicht erwartete Einmaleffekte, die uns in dem zu Ende gehenden Doppelhaushalt vor einer höheren Verschuldung bewahrt haben.
Wir können nicht damit rechnen, daß uns auch in den kommenden beiden Jahren wieder Einmaleffekte bei der Gewerbesteuer oder andere unverhoffte Einkünfte glimpflich davonkommen lassen. Der Schuldenstand wird deutlich steigen. Nicht nur, weil noch eine Kreditermächtigung in Höhe von knapp 165 Millionen aus dem Nachtragshaushalt 2011 im Raume steht, die voraussichtlich im kommenden Jahr für Investitionen aus Ermächtigungsübertragungen in Anspruch genommen werden muß, sondern auch, weil wichtige, seit vielen Jahren aufgeschobene Investitionen anstehen, deren Vertagung zu Wert- und Substanzverlusten führen und damit noch größeren Schaden anrichten würde als die Aufnahme neuer Kredite.
Die Verwaltung hat in einer recht merkwürdigen Volte nicht einmal die unstrittigen unter diesen Investitionen in den vorgelegten Haushaltsentwurf aufgenommen, sondern vollständig dem Gemeinderat überlassen, die erforderlichen Ergänzungen des Haushaltes vorzunehmen. Das führt dazu, daß die anstehenden Haushaltsberatungen wesentlich von der Auseinandersetzung über Zweck und Umfang neuer Kreditaufnahmen geprägt sein werden. Und der Schwarze Peter wird damit dem Gemeinderat zugeschoben.
Klare Prioritäten setzen
Angesichts dieser Ausgangslage muß in den Haushaltsberatungen eine Maxime unanfechtbar als oberste Richtschnur stehen: Wir müssen klare Prioritäten setzen, streng und sorgfältig das Notwendige vom bloß Wünschbaren abschichten und uns gerade bei kreditfinanzierten Vorhaben strikt auf das unumgänglich Vorgegebene, auf das Substanzerhaltende und Wertschaffende beschränken. Umgekehrt heißt das: Konsum und Geldverteilen auf Pump, Klientelpolitik und die Subventionierung gruppenspezifischer Steckenpferde und Partikularinteressen kommen angesichts der ernsten Haushaltslage weniger denn je in Frage. Ein besonders schwerer Sündenfall wäre vor allem die Schaffung neuer Stellen im öffentlichen Dienst im großen Stil, auf den sich vor allem die Begehrlichkeiten auf dem linken Flügel richten. Das verbietet sich schon wegen der erheblichen und nur schwer wieder rückgängig zu machenden Folgelasten.
Dagegen halte ich es trotz der damit verbundenen Mindereinnahmen von ca. 5,6 Millionen Euro für vertretbar, den Hebesatz der Grundsteuer wieder maßvoll von 520 auf 500 vH zu senken. Diese Entlastung kommt allen Bürgern zugute. Hauseigentümer und Mieter werden in den kommenden Jahren durch die gesetzlich vorgeschriebene energetische Sanierung erheblich zusätzlich belastet; angesichts des damit verbundenen Anstiegs der Mieten ist es mehr als gerechtfertigt, im Interesse der Mieter eine sozial wünschenswerte Entlastung durch eine maßvolle Senkung der Grundsteuer zu schaffen.
Schulsanierung: Vorfahrt für Werterhaltung
Die Fortsetzung der Sanierung der Schulgebäude in unserer Stadt steht auf der Prioritätenliste fraglos an erster Stelle. Das dient nicht nur der Unterrichtsqualität, sondern auch der Bewahrung und Erhaltung des städtischen Immobilienvermögens. Zustände wie an der Schickhardt- Schule, daß Unterrichtsräume wegen Gefahr für die Benutzer gesperrt werden mußten, dürfen nicht wieder eintreten; das können und dürfen wir uns im Interesse unserer Schüler nicht leisten. Soweit also die Fortsetzung des im Dezember 2009 beschlossenen Schulsanierungsprogramms beabsichtigt und hierfür die Bereitstellung zusätzlicher Mittel entsprechend den Empfehlungen der Beratungsfirma vorgesehen ist, unterstütze ich daher den Antrag von CDU, SPD und Grünen und stimme den notwendigen Ausgaben in Höhe von 232,5 Millionen Euro zu.
Auch bei anderen Investitionen muß die Schaffung und Erhaltung von Werten bei der Verwendung der knappen finanziellen Spielräume eindeutig Vorrang haben. Deswegen befürworte ich ebenfalls Sonderprogramme zur Sanierung der von Verfall bedrohten Stuttgarter Staffeln sowie der Gemeindestraßen im Einklang mit den Anforderungen des Tiefbauamtes. Auch die Verbesserung des Wegenetzes in städtischen Parkanlagen fällt in diese Kategorie.
Das Prinzip der Vorfahrt für Werterhaltung rechtfertigt die Kreditfinanzierung der Schulhaussanierung, da bei einer Verschiebung dieser Sanierungsmaßnahmen in die Zukunft der Schaden noch größer würde. Dahinter zurücktreten muß das beabsichtigte Engagement der Stadt beim Erwerb des LBBW-Wohnungsbestandes. Zwar ist es grundsätzlich sinnvoll, daß die Stadt hier einen Fuß in der Tür behält, um Fehlentwicklungen bei einem Verkauf der Wohnungen zu verhindern; und das Argument, mit dem Erwerb der Immobilien stehe der finanziellen Beteiligung der Stadt ein tatsächlicher Wert gegenüber, ist nicht von der Hand zu weisen, wenn der Wohnungsbestand tatsächlich von entsprechender Qualität ist. Gleichwohl wird der Umfang des kommunalen Engagements zur Heuschreckenabwehr in diesem konkreten Fall noch zu diskutieren sein, wenn die Entscheidung ansteht.
Maßhalten beim Krippen- und KiTa-Ausbau
Beim Ausbau der Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren gibt es gesetzliche Auflagen, die erfüllt werden müssen. Allerdings liefern sich Verwaltung und Parteien derzeit einen Überbietungswettbewerb: Versorgungsgrad und Anzahl der Betreuungsplätze können nicht groß genug sein. Damit laufen wir Gefahr, Verpflichtungen mit unabsehbaren Folgekosten einzugehen, ohne sicher sein zu können, daß die damit aufgebauten Kapazitäten überhaupt benötigt werden.
Auf der Grundlage des Kindertagesbetreuungsgesetzes des Landes und der hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften gehe ich im Blick auf die Änderung des § 24 SGB VIII zum 01.08.2013 von einem anzustrebenden Versorgungsgrad für die Kleinkindbetreuung aus, wie er vom Land vorgegeben wird, nämlich 34 Prozent. Wir sollten uns an dieser Vorgabe zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben orientieren. Als Grundlage für die Haushaltsberatungen sollte die Verwaltung daher den Finanzaufwand für die Anhebung des Versorgungsgrades auf 34 Prozent darstellen und zugleich den Anteil der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel aus dem Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung 2008 bis 2013“ ermitteln.
Das ist nicht nur sinnvoll im Hinblick auf die Einhaltung des Konnexitätsprinzips. Wenn wir vom Land die angemessene Beteiligung an den Kosten der von ihm gemachten Vorgaben verlangen und dafür auch den Klageweg nicht scheuen wollen – diese vom Oberbürgermeister aufgezeigte Perspektive unterstütze ich ausdrücklich –, sollten wir nicht durch freiwillige Übererfüllung der gesetzlichen Vorgaben den Eindruck erwecken, als könnten wir ohnehin aus dem vollen schöpfen.
Es gibt aber noch einen prinzipiellen Grund, sich beim Ausbau der Krippenbetreuung eine kritische Zurückhaltung aufzuerlegen: Nämlich das Kindeswohl. Die möglichst umfangreiche Fremdbetreuung von Unter-Drei- oder gar Unter-Einjährigen mag im Interesse mancher Eltern sein, sie mag der Wirtschaft und dem Fiskus dienen, die davon profitieren, wenn Mütter möglichst früh ihre Kinder abgeben, um ohne Einschränkungen Vollzeit zu arbeiten und Steuern und Abgaben zu zahlen: Im Interesse der Kinder ist sie nicht. Die Streßforschungen der Hamburger Kinder- und Jugendpsychiaterin Carola Bindt weisen nach: Die Streßbelastung durch die Trennung von der Hauptbezugsperson Mutter ist bei vier Fünftel der Krippenkinder beträchtlich und kann durch gute Betreuungsqualität abgeschwächt, aber nie aufgehoben werden. Und die bislang umfangreichste US-amerikanische Krippenstudie belegt, daß selbst der Besuch einer guten Krippe noch bei 15jährigen Jugendlichen negative Auswirkungen hat und gehäuft zu sozialen Auffälligkeiten führen kann.
In den Musterländern der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Frankreich, Schweden, Norwegen, ist man längst weiter. Man diskutiert offen über die negativen Seiten der Krippenbetreuung und sucht Alternativen zur exzessiven Frühbetreuung: großzügige Freistellungsmöglichkeiten zur Pflege kranker Kinder, Betreuung direkt am Arbeitsplatz. Statt phantasielos die Fehler zu wiederholen, die andere längst gemacht und erkannt haben, sollten wir alternativen Modellen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ohne Belastung der Kinder eine Chance geben. Was der Bundesfamilienministerin recht ist – den eigenen Säugling mit an den Arbeitsplatz zu nehmen und einen Wickeltisch im Büro aufzustellen, statt das Kind in der Krippe fremdbetreuen zu lassen – sollte Stuttgarter Müttern nur billig sein. Die Stadt Stuttgart könnte auch hier in puncto Kinderfreundlichkeit mit gutem Beispiel vorangehen.
Ganztagesschulen: Falscher ideologischer Ehrgeiz
Klare Prioritäten setzen – das heißt auch: Zurückstellen, was nicht in die Kernkompetenz der Stadt fällt. Damit meine ich in erster Linie das kostspielige Projekt, sämtliche Grundschulen Stuttgarts in Ganztagesschulen umzuwandeln. Es ist schon von Verfassungs wegen nicht Aufgabe der Kommunen, in der Bildungspolitik vorzupreschen und aus den knappen Mitteln des städtischen Haushalts bildungspolitische Experimente zu finanzieren, sei es nun durchgängiger Ganztagesunterricht, „Bildungshäuser“ oder Pilotprojekte zur sechsjährigen Grundschule. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier eher der Ehrgeiz einzelner Protagonisten in der Verwaltung Pate steht, sich durch hektische Profilierungsbemühungen für ganz andere Aufgaben zu empfehlen.
Für manche Eltern mag es von Vorteil sein, wenn alle Stuttgarter Grundschulen verbindliche Ganztagsschulen werden. Denkt man dabei auch an die Kinder? Grundschüler sollten nicht ohne Not zu einer 40-Stunden-Woche an der Schule gezwungen werden. Kinder brauchen am Nachmittag Freizeit zu Hause und für frei gewählte musische und sportliche Aktivitäten außerhalb der Schule.
Die Sportvereine fürchten zu Recht um ihren Nachwuchs, wenn alle Stuttgarter Grundschulen demnächst zu Ganztagsschulen werden. Die Ausrede, die Kinder hätten ja – in einer Vollzeit-Schulwoche! – noch die Abende und Wochenenden für den Vereinssport, ist einigermaßen weltfremd und läßt eigene Erfahrung missen. Die ins Auge gefaßte Einbeziehung der Sportvereine in die schulische Ganztagesbetreuung wirft wiederum eine Reihe von Widersprüchen auf. Großvereine mit hauptamtlichen Übungsleitern mögen eine Kooperation mit den Ganztagsschulen leisten können, die kleinen mit ihren vielen ehrenamtlichen Freizeit-Trainern geraten jedoch unter „Fusionsdruck“, ohne daß sie dadurch in die Lage versetzt würden, Profi-Übungsleiter abstellen zu können. Das steht im Gegensatz zum andernorts verfolgten Investitionsverhalten, das auf die Stärkung der Vereinsvielfalt zielt. Ungeklärt ist auch, wie die von den Vereinen für die Einbeziehung in die schulische Ganztagesbetreuung geforderte „Professionalisierung“ realisiert und finanziert werden soll. Fazit: Flächendeckende Ganztagesbeschulung schadet den Sportvereinen und ist ein Anschlag auf das Ehrenamt und das Vereinsleben unserer Stadt. Auch deshalb plädiere ich dafür, das Ganztagesschulprogramm zurückzustellen.
Bei der Einrichtung von Ganztagesschulen muß das Prinzip der Freiwilligkeit und der Wahlfreiheit der Eltern strikt gewahrt werden. Niemand sollte genötigt werden, sein Kind nachmittags in die Schule zu schicken, auch nicht indirekt durch einseitige Kostenbefreiungen. Staatliche Gängelung von Familien hat den Beigeschmack totalitärer Bevormundung und sollte unter allen Umständen vermieden werden. Deshalb muß an jeder Grundschule weiter die verläßliche Betreuung bis 14 Uhr zur Wahl stehen und darf für die Eltern auch nicht teurer sein als die Ganztagsschule. Die muß eine von beruflichen Zwängen der Eltern bestimmte Ausnahme und nicht die staatlich aufoktroyierte Regel sein. Schon gar nicht mit dem Ziel der Zwangsintegration. Und wenn Ganztagesschule – dann bitte als offene und nicht als gebundene!
Statt des flächendeckenden Ganztagsschulprogramms erscheint es sinnvoller, bedarfsgerecht und gezielt in einzelne wichtige Schulprojekte zu investieren. Einige Beispiele habe ich in meinen Anträgen aufgezeigt – so etwa den Ersatz- und Erweiterungsbau der Schule für Körperbehinderte Möhringen und den überfälligen Ausbau des bereits 2007 im Rohbau fertiggestellten Film- und Tonstudios der it.schule Möhringen.
Bürgerhaushalt – wie weiter?
Das mit großem Aufwand durchgeführte Verfahren zum „Bürgerhaushalt“ hat durchaus einige sinnvolle Anregungen erbracht. Die Vornahme der Gewichtung der Vorschläge durch die Nutzer des dafür eingerichteten Internetportals hat allerdings dazu geführt, daß eine beträchtliche Zahl von überflüssigen allgemeinpolitischen Bekundungen Eingang in die Vorlage gefunden hat, die nichts mit dem Haushalt zu tun haben, während nützliche Vorschläge außen vor blieben.
Einige dieser Vorschläge habe ich aufgegriffen, so den Wunsch nach einer Neugestaltung des „Eckensees“, dessen unattraktive Gestalt auch mir seit langem ein Dorn im Auge ist – hier schlage ich einen Ideenwettbewerb zur Neugestaltung vor.
Vor einer Fortführung des „Bürgerhaushalts“ muß allerdings eine kritische Evaluierung hinsichtlich Aufwand und Ergebnis und der Praktikabilität für künftige Haushaltsaufstellungen erfolgen, um eine Konzentration auf haushaltsrelevante Fragen zu erreichen.
Weitere Akzente
Lassen Sie mich nur kurz noch einige weitere Schwerpunkte der Republikaner für die anstehenden Haushaltsberatungen anreißen. Stadtplanung und Aufwertung vernachlässigter Innenstadtareale liegen uns nach wie vor sehr am Herzen. Schon deshalb befürworte ich das Wiederaufgreifen der Pläne zur Neubebauung des Rathausgaragenareals und die Belagerneuerung und Umgestaltung der Fußgängerzone in der Bad Cannstatter Marktstraße. Über dem Schulsanierungsprogramm sollten wir den großen Investitionsbedarf bei den Sportvereinen nicht aus dem Auge verlieren. Die Ersatzbeschaffung eines Bücherbusses findet ebenfalls meine Unterstützung; die Bücherbusse sind bei allen Altersgruppen beliebt und tragen insbesondere dazu bei, Grundschulkindern frühzeitig Freude am Lesen und am regelmäßigen Umgang mit Büchern nahezubringen. Ein bleibendes Anliegen ist uns auch die Schaffung einer Gedenkstätte "Rote Wand", die dem Andenken der Opfer gewidmet sein soll, die im Zuge der Besetzung Stuttgarts durch alliierte Truppen im Frühjahr 1945 ums Leben gekommen sind.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch die kritische Anmerkung, daß dieser Haushaltsentwurf noch dünner und noch schwerer lesbar geraten ist als der letzte. Der Transparenz dient es nicht, wenn dem Haushaltsentwurf detaillierte Ausgabenverteilungen kaum noch zu entnehmen sind. Diese Anmerkung schmälert in keiner Weise meine Anerkennung und meinen Dank an alle Mitarbeiter der Kämmerei und der Verwaltung, ohne deren hilfreiches und effizientes Wirken wir die anstehenden Papierschlachten nicht bestehen könnten.